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Gemeinsam die Zukunft gestalten

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Interview: Nach fünf Jahren Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und zwei Jahren mit neuem Finanzgesetz (Teil 2)

Über die Entwicklung in der EKM sprachen Dietlind Steinhöfel und Harald Krille mit Finanzdezernent Stefan Große und Personaldezernent Michael Lehmann (siehe Nummer 7, Seite 5).

Derzeit sind die Kirchensteuereinnahmen aufgrund der guten Konjunktur unerwartet hoch. Doch in der Gesellschaft werden die Rufe nach einem Wegfall des staatlichen Kirchensteuereinzugs und der Staatsleistungen immer lauter. Beunruhigt das den Finanzchef?
Große:
Diese Rufe waren schon mal zu hören. Ob sie wirklich lauter werden, weiß ich gar nicht. Nicht alles, was diskutiert wird, wird sofort in Gesetzgebung umgesetzt. Zunächst darf ich darauf verweisen, dass die Kirchen einen Rechtsanspruch auf Staatsleistungen haben. Der Verfassungsauftrag zur Ablösung ist ein Auftrag an den Staat. Ablösung heißt nicht ersatzloser Wegfall, sondern Aufhebung gegen Entschädigung. Dazu braucht es aber ein vom Bundestag erlassenes Ablösegrundgesetz. Wenn der Staat sich zu einem solchen durchringen würde, würde sich unsere Kirche selbstverständlich verfassungsgemäß verhalten und wäre gesprächsbereit. Für eine Änderung beim Kirchensteuereinzug ist eine verfassungsverändernde Mehrheit im Bundestag nötig. Der staatliche Einzug der Kirchensteuer genannten Mitgliedsbeiträge hat sich bewährt. Er ist Ausdruck der Trennung von Staat und Kirche. Deshalb sehe ich diese Mehrheit nicht. Mein Problem sind nicht die Rechtspositionen, sondern der Rückgang der Gemeindemitglieder und damit der Kirchensteuerzahler aufgrund der Demografie.

Oberkirchenrat Michael Lehmann. Foto: Harald Krille

Oberkirchenrat Michael Lehmann. Foto: Harald Krille

Wir evaluieren gerade das Finanzgesetz und stellen Hochrechnungen an zunächst einmal bis 2025. Was darüber hinausgeht, ist mit Prognosen nur sehr schwer zu fassen. Jetzt haben wir gute Jahre und müssen – gut biblisch – für die mageren vorsorgen. Ich möchte deshalb auf den Bericht der Landesbischöfin vor der Synode verweisen, in dem inhaltlich der Umbaugedanke stark betont wird. Für mich stellt sich die Frage, wie wird sich nach den Prognosen unsere Finanzkraft entwickeln und wie muss letztlich dann die Personalsituation gestaltet werden? Auch die EKM kann nicht mehr ausgeben, als sie einnimmt. Dazu kommt: Zwar stammen 80 Prozent unserer Einnahmen aus Kirchensteuern, aber 30 Prozent davon kommen über den EKD-Finanz­ausgleich aus »reicheren« Landeskirchen. Die Staatsleistungen machen bei uns etwa 20 Prozent aus. Das ist keine gesunde Struktur.

Dieser Finanzausgleich wird ja auch zunehmend von den Geberkirchen infrage gestellt …
Lehmann:
Es mag provokant klingen: Wenn man mal in die benachbarten Landeskirchen schaut – nach Hannover, Braunschweig, Bayern – und die Pfarrer dort fragt, für wie viele Gemeindeglieder sie zuständig sind, sind das im Schnitt mehr als 3 000. Es geht dabei ja nicht nur etwa um die Zahl der Gottesdienste. Auch die Zahl der Besuche und der Kasualien, also Taufen, Konfirmationen, Trauungen, Beerdigungen, erhöht sich ja beträchtlich mit der Zahl der Gemeindeglieder. Wenn man Pfarrer von 3 500 Gemeindegliedern ist, gibt es andere Herausforderungen, als wenn man 1 250 hat. Dass sie mit uns solidarisch sind, hängt natürlich mit der geringen Kirchlichkeit in unseren Breiten zusammen und der großen Fläche, das sehen die Geberkirchen durchaus. Wir sind gut dran, dass wir so solidarische Nachbarn haben.

In unserer Kirche gibt es ja beides – krass minderheitskirchliche und durchaus volkskirchliche Regionen. Die landeskirchlichen Kriterien für die Zuweisung von Personalmitteln an die Kirchenkreise versuchen dem Rechnung zu tragen. Von da an aber ist es Aufgabe der Kirchenkreise, die Stellen in ihrem Bereich angemessen zu verteilen. Und wenn ich das richtig sehe, schaffen sie das mit ziemlich hoher Qualität. Dennoch gibt es Erwartungen, dass die Landeskirche für diese oder jene Aufgabe finanzielle Verantwortung übernimmt. Das konterkariert aber die Entscheidung, die Verteilung der Stellen vor Ort in die Hand der Kirchenkreise zu legen. Für die verbleibenden Ausgleichsmaßnahmen bleiben uns die genannten 30 Pfarrstellen für besondere Aufgaben. Sicher – mehr wäre immer schön.

Große: Das neue Finanzsystem hat diese Diskussion natürlich auch provoziert. Das ist ein ganz bewusster Prozess, weil wir überzeugt sind, dass es richtig ist, die Kirchenkreise als eigenverantwortlich planende und selbstgestaltende Größen zu stärken. Es kann eben nicht von Erfurt aus bestimmt werden, was im Einzelnen in Salzwedel oder Hildburghausen passiert.

Der Tübinger Theologieprofessor Eberhard Jüngel etwa sieht die Zukunft der Kirche in freikirchlichen Strukturen, in denen Gemeinden weitgehend selbstständig sind. Sein Greifswalder Kollege Michael Herbst hat diese Sicht erst vor wenigen Tagen beim Willow-Creek-Leitungskongress in Leipzig bestätigt. Macht man sich auch in der EKM Gedanken um die grundsätzlichen Strukturen der Zukunft?
Lehmann:
Ja, sicher. Zum Beispiel werden wir noch in diesem Jahr ein geschlossenes Forum, eine Art »Internetkonvent« ans Netz gehen lassen, wo genau solche Zukunftsfragen durch die Betroffenen selbst offen und barrierefrei diskutiert werden können.

Ich selbst sehe die Freikirchlichkeit zurückhaltend. Denn einerseits ist unsere Kirchenstruktur ja da. Ob wir sie brauchen, ist vielleicht die falsche Frage. Wir sollten fragen: Wozu kann sie dienen, wenn sie schon da ist? Wie fördert sie das Leben der Gemeinde? Ich bin nicht davon überzeugt, dass kongregationalistische Strukturen, also die vollständige Selbstständigkeit der Gemeinden, das Zukunftsmodell sind. Denn das bedeutet eine Form von Selbstverantwortung einer Gemeinde, für die wir hier weder die Tradition noch die Kultur haben.

Oberkirchenrat Stefan Große. Foto: Harald Krille

Oberkirchenrat Stefan Große. Foto: Harald Krille

Stellen Sie sich vor, es finden sich nicht genügend Gemeindeglieder, die für den Unterhalt der Kirche und der dazugehörigen Pfarrstelle sorgen. Wenn das in Amerika passiert, wird ein Schloss vor die Kirche gehängt und sie wird verkauft. Versuchen Sie das mal in Mitteldeutschland! Das geht nicht: Wir haben viele schöne alte Kirchen. Und wie viele konnten in den letzten 20 Jahren saniert werden. Auf der anderen Seite sehen wir ja, dass das Finanzgesetz den Gemeinden die Verantwortung für 25 Prozent der Personalkosten in die Hand legt. Hier wächst eine neue Aufmerksamkeit der Gemeinden für die Stellenplanung ihres Kirchenkreises.

Große: Die Frage ist auch, würden freikirchliche Strukturen der Unabhängigkeit der Verkündigung des Evangeliums dienen oder nicht? Ich wage zu behaupten: Nein. Wenn nämlich der Pfarrer einige Male nicht so gepredigt hat, wie es dem Großspender in der Gemeinde gefällt, dann gibt der sein Geld vielleicht in eine andere Gemeinde. Diese Abhängigkeit hätte ich nicht gerne.

Lehmann: Unsere synodale Kirchenstruktur ist ein Schatz, den wir vielleicht manchmal deshalb so wenig schätzen, weil er uns selbstverständlich ist.

Große: Und sie erzeugt eine große Transparenz. Wir haben lange Diskussionsprozesse auf allen Ebenen zu den wirklich wichtigen Fragen geführt. Ich erinnere an die Verfassung oder das Finanzgesetz. Damit wurde auch eine starke Akzeptanz erreicht.

Dennoch, ist nicht ein Kulturwandel hin zu mehr Eigenverantwortung der Gemeindemitglieder nötig?
Große:
Natürlich, das ist ein wichtiger Punkt. Da sind wir schon mittendrin. Es war ein großer Streitpunkt im Finanzgesetz, ob denn die Kirchenkreise so viel Verantwortung tragen sollen. Es gab etliche, die gesagt haben: Wir wollen diese Verantwortung nicht. Es ist ja manchmal auch bequemer, wenn man sagen kann: Das hat die Landessynode so entschieden, da können wir gar nicht mehr viel machen hier im Kirchenkreis oder hier in der Kirchengemeinde.
Ein anderes Thema ist der Gemeindebeitrag. Wir haben das Gemeindebeitragsgesetz im letzten Jahr erneuert. Dazu gibt es eine Handreichung, wo genau diese Eigenverantwortung der Kirchengemeinden betont wird und konkrete Hilfen angeboten werden. Denn alles, was dabei gesammelt wird, bleibt in der Gemeinde vor Ort und schafft ihr Spielräume.

Dazu wünsche ich mir viele anregende Diskussionen und vor allem gute Ideen.

Bei all dem hören wir immer wieder auch die Klagen von Pfarrern, die sich überlastet und ausgebrannt fühlen. Zu Unrecht?
Lehmann:
Nein, das ist nicht von der Hand zu weisen. Und es greift einem natürlich ans Herz. Man muss sehen, dass es in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen fortwährenden Strukturwandel gegeben hat. Es ist ja nicht so, dass die Stellen mit einem Mal zusammengefasst wurden. Sondern es kam eine Gemeinde dazu, dann ein nächstes Dorf, dann drei Dörfer. Und jedes Mal muss sich die Pfarrerin oder der Pfarrer den Dienst neu organisieren, sich quasi neu erfinden. Da kann Erschöpfung wachsen.

Wir nehmen das sehr ernst. Wir haben mit dem Instrument der Mitarbeitergespräche darauf reagiert, damit wenigstens einmal im Jahr nachgefragt wird: Wie geht es dir eigentlich? Und was brauchst du? Wir sind dabei das Pastoralkolleg inhaltlich neu auszurichten. Drübeck ist ein guter Ort für Abstand und Einkehr. Wir wollen mit diesem Pastoralkolleg Ordinierte am Anfang, in der Mitte und am Ende ihres Dienstes begleiten. Wir haben deshalb auch Kurse eingeführt, die auf den Ruhestand vorbereiten. Da werden Fragen gestellt: Wie geht das, von 100 auf Null? Welche Dienste will ich fortan ehrenamtlich übernehmen? Wie ist es, wenn man im Pfarrhaus wohnen bleibt? Sollte man einen Ortswechsel vollziehen?

Das sind heikle Fragen, vor denen viele zurückschrecken, vor denen aber alle eines Tages stehen. Und bei den Bilanz- und Orientierungstagen kommen Pfarrerinnen und Pfarrer zusammen, um zurück- und vorauszuschauen und sich darüber miteinander auszutauschen.


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